Das Thema Armut wird angesichts der fossil getriebenen Inflation und der wirtschaftlichen Veränderungen durch den Krieg in der Ukraine deutlich sichtbar – auch im Landkreis München. Daher hatten Johanna Zapf, Vorsitzende der Unterhachinger Grünen und zweite Bürgermeisterin, mehrere Sozialverbände und Expert*innen eingeladen, um über Anzeichen, Hilfe und wirksame Maßnahmen zu diskutieren.
Eva Belm, Konrektorin der Grund- und Mittelschule erklärte, es gebe sichtbare und unsichtbare Armut. Gerade Kinder seien gut darin, finanzielle Armut zu verheimlichen. Besonders für Pädagog*innen sei daher eine wichtige Aufgabe, gut hinzuhören und hinzuschauen und nicht zu bewerten, welche Freizeitaktivitäten eine Familie sich leisten könne. „Alle Unternehmungen mit den Kindern in der Familie sind wertvoll“, so Eva Belm. „Es liegt an uns zu unterbinden, dass ein Wettbewerb darüber entstehe, wer mit dem Flugzeug im Urlaub oder am Wochenende in der Allianz Arena war und wer mit den Eltern im Wald oder auf dem Abenteuer-Spielplatz getobt und gespielt hat.“ Florian Dietrich, Erzieher und Student sozialer Arbeit, ergänzte: „Wir sehen, dass manche Eltern den Kindern minderwertige Brotzeit mitgeben oder keine Matschhose kaufen können, aber nicht die Hortleitung um Hilfe bitten wollen.“
Die Runde war sich daher einig, dass es viel mehr niedrigschwellige Angebote zur Unterstützung braucht. Claudia Mammach als Vertreterin der Caritas und zuständig im Bereich „Soziale Dienste“, darunter die Tische im Landkreis München, brachte die Dramatik auf den Punkt: „Arbeit schützt nicht mehr vor Armut. Damit hat unsere ganze Gesellschaft ein Problem, das wir nur gemeinsam lösen können.“ Sie erzählte, dass zum ersten Mal seit vielen Jahren eine Warteliste geführt werden müsse für die Berechtigung, sich an den Tischen zu bedienen. Die zur Verfügung gestellten Lebensmittel kurz vor dem Ablaufdatum reichten nicht mehr für die Nachfrage. „Diese Ware wird häufig direkt im Supermarkt etwas billiger verkauft, aber dort kaufen es natürlich nicht nur die bedürftigen Menschen – und uns fehlt es.“
Stefan Wallner, Fachbereichsleiter der AWO Wohnungsnotfallhilfe, ist ebenso wie die Caritas im ständigen Austausch mit dem Jobcenter. Er mahnte, dass das Leben gerade im Ballungsraum München oft nicht mehr nur für Hartz IV-Empfänger zu teuer geworden sei, sondern „ganz normale Familien“ in die Armut rutschten und auch die Altersarmut zunehme. Meistens kommen die Klienten und Klientinnen der Wohlfahrtsverbände relativ spät zur Beratung. Wenn der Verlust der eigenen Wohnung, dem privatesten Bereich überhaupt, droht, dann erst suchen viele Menschen Hilfe. „Sie bringen eine Lebensgeschichte mit, welche zu diesen Umständen führt und meistens wird Unterstützung in mehreren Bereichen benötigt. Deswegen ist eine umfassende Beratung notwendig“, so Wallner.
Große Befürchtungen hatten alle Diskutierenden, was den Herbst angeht. „Wenn die Gas- oder Stromrechnung kommt, wird es böse Überraschungen geben. Aber woher sollen Menschen, die jetzt schon am Limit leben, Rücklagen dafür schaffen?“
Kreisrätin und Fraktionsvorsitzende Evi Karbaumer, von Beruf Sozialpädagogin, lenkte den Fokus auf Kinder und Familien. „Es beginnt mit Bildungsgerechtigkeit. Alle Kinder brauchen gleiche Chancen, später gut für den eigenen Lebensunterhalt sorgen zu können, das darf nicht vom Elternhaus abhängen und daran dürfen wir auch nicht sparen.“ Claudia Köhler, Landtagsabgeordnete ergänzte: „Jedes fünfte Kind ist in Bayern von Armut bedroht und in keinem Bundesland ist der erreichte Bildungsabschluss der Kinder so abhängig vom Bildungshintergrund der Eltern wie in Bayern. Das können wir uns als Gesellschaft nicht leisten. Wir brauchen Fachkräfte in allen Bereichen. Es sollte selbstverständlich sein, dass wir alle Kinder bestmöglich ausbilden.“
Die Runde sprach noch die Notwendigkeit der nahtlosen Fortführung von Berufseinstiegsbegleitung an, die Kindern beim Eintritt in eine Ausbildung hilft und auch an der Unterhachinger Mittelschule bisher erfolgreich lief. Sie wird vom Freistaat Bayern im Jahr 2022 nicht weiterfinanziert.
Johanna Zapf fasste die Erkenntnisse zusammen: „Alle politischen Ebenen von der Kommune bis zum Land- und Bundestag können und müssen etwas gegen Armut unternehmen. Menschen benötigen erschwinglichen Wohnraum, Familien brauchen verlässliche Kinderbetreuung. Es braucht gut ausgestattete Schulen und bessere Förderung von Ausbildungsplätzen und Hochschulen. Die aktuellen Krisen zeigen, dass wir endlich eine Energie- und Verkehrswende benötigen, damit unsere Freiheit und Mobilität nicht von Diktatoren abhängig sind.“
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